Eine kurze Analyse jenseits von „Ost“ und „West“
Spricht man von der deutschen Teilung, ist in den meisten Fällen die historische Teilung Deutschlands in die Bundesrepublik auf der einen und die DDR auf der anderen Seite gemeint, sowie weiterführend manchmal auch die Spuren, die man davon in der Nachwendezeit noch spüren kann. Letztes Jahr ging es beim Farbfleck am Tag der deutschen Einheit um genau jene Teilung, um ihre Vor- und Nachteile auf verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen und warum es gut ist, dass es in Deutschland so viele kulturell unterschiedliche Regionen gibt.
Doch jenseits der historischen Ost-West-Teilung hat in den letzten Jahren vermehrt eine andere Art von „Spaltung“ von sich Reden gemacht: Nord und Süd. Das erste, was jüngeren Leuten zur Frage, was den Norden und den Süden voneinander trennt, einfallen würde, wäre vermutlich ALDI. Ein durchaus heiß diskutiertes Thema unter Jugendlichen. Doch im Kern geht es natürlich viel tiefer als das. Zum Beispiel wären da die altbekannten Themen, die lange Zeit (und teils auch noch immer) den Osten vom Westen unterschieden haben, einen aber immer mehr eine imaginäre Grenze zwischen Norden und Süden ziehen lassen:
Wohlstand und Wirtschaft: Der arme Norden und der reiche Süden
Das jährlich verfügbare Einkommen ist in Deutschland relativ ungleich verteilt. Der Süden (namentlich Baden-Württemberg und Bayern) hat hier die Nase vorn. Auf ihn folgt der geographische Westen Deutschlands, dann die nördlichen Regionen und Schlusslicht bilden die neuen Bundesländer. Eine glasklare Trennlinie zwischen Süden und Norden gibt es auf den ersten Blick also nicht. Doch zieht man weitere Parameter (wie z.B. Kinderarmut und Arbeitslosigkeit) zur Hilfe, so offenbart sich ein gänzlich anderes Bild. Dazu kommt, dass Bayern und Baden-Württemberg gefestigte Wirtschaftsstandorte sind, die seit Jahrzehnten immer mehr Unternehmen anlocken, was die Regionen wiederum attraktiver für zukünftige Start-Ups macht, während der Rest der Bundesrepublik dahingehend Anschluss sucht. Natürlich gibt es auch hier gemäß der Annahme, Ausnahmen bestätigen die Regel, Städte und Regionen, die aus dem Rahmen fallen. So ist die Hansestadt Hamburg als historische Hafen- und Handelsmetropole mit ihrem Reichtum gewachsen und Nordrhein-Westfalen mit seinen zahlreichen städtischen Zentren weiterhin ein Anlaufpunkt für große Unternehmen. Was Wirtschaft und Infrastruktur vor Ort im Allgemeinen anbelangt, kann der Rest Deutschlands aber nur bedingt mit den beiden Vorzeige-Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg mithalten.
Die genauere Betrachtung des Nord-Süd-Gefälles zeigt also: So, wie der Osten Deutschlands teils gesellschaftlich abgehängt wurde, verliert der Norden bzw. die nördliche Hälfte wirtschaftlich den Anschluss.
Politik: Der rote Norden und der schwarze Süden
Betrachtet man eine Deutschlandkarte nach Wahlergebnissen (zur Bundestagswahl 2021 wurde es besonders deutlich) so stellt man fest, dass es eine gewissen Dreiteilung des Nordens und Südens gibt. Die Annahme, es gäbe „den Osten“, scheint überholt zu sein, denn diese Region weist inzwischen eine politische Nord-Süd-Spaltung in sich selbst auf. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren insbesondere die AfD (und teilweise CDU) stark, während Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg – wie fast der ganze Rest der nördlichen Hälfte Deutschlands, Teile Nordrhein-Westfalens ausgenommen – gänzlich rot gefärbt wurden. Der christlich-bürgerliche Süden wird dagegen traditionell von den Unionsparteien dominiert. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und so historisch gewachsen wie auch von aktuellen Entwicklungen bestimmt.
Bildung: Der hinkende Norden und der forschungsstarke Süden
Dass das Abitur in Baden-Württemberg und Bayern schwerer und mehr wert sei als das in anderen Bundesländern, ist ein Gerücht, dass sich hartnäckig hält. Interessanterweise machen jedoch prozentual gesehen am meisten Schüler in der nördlichen Hälfte Deutschlands Abitur, vor allem in den Metropolregionen. Nun könnte man das aber als Bestätigung des ersten Punktes sehen: Wenn das Abitur im Süden schwerer ist, muss das ja bedeuten, dass im Schnitt mehr Schüler die Abschlussprüfungen nicht bestehen. Was andere Bereiche zum Thema Bildung angeht, hinkt der Norden dem Süden aber deutlich hinterher, vor allem in den ländlichen Regionen. Es gibt trotz alledem auch positive Beispiele: Besonders zugelegt haben in den letzten Jahren vor allem die zwei südöstlichen Bundesländer Sachsen und Thüringen.
Im Bereich der Universitäten setzt sich wiederum der Trend von Baden-Württemberg und Bayern gegen „den Rest“ fort. Über die Hälfte der forschungsstärksten Universitäten sind allein in den südlichsten beiden Bundesländern vertreten, der Rest ist über den verbleibenden Teil Deutschlands verstreut.
Religion und Historie: Der evangelische Norden und der katholische Süden
Auch, wenn Religion vor allem für die jüngeren Generationen im Alltag an Bedeutung verliert, ist dies wahrscheinlich der historisch am tiefsten verwurzelte Aspekt, der unser Land in Norden und Süden spaltet. Die erste nennenswerte Teilung Deutschlands in (grob) Nord und Süd – damals noch nicht durch Religion begründet – vernahmen die Römer mit der Errichtung des Limes von Koblenz über Frankfurt (Main) nach Regensburg. Manche Historiker meinen, dieser Einschnitt wäre so tief gewesen, dass Deutschland sich nie wieder davon „erholt“ hätte. Interessant wird es, wenn man geschichtliche Ereignisse und Entwicklungen wie den Verlauf der Reformation und die Reaktion darauf (Gegenreformation der katholischen Kirche), den dreißigjährigen Krieg oder die Gründung des Norddeutschen Bundes auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands betrachtet.
Bei weitem nicht alles in der Geschichte Deutschlands war von Religion bzw. von religiösen Motiven geleitet, summa summarum hat sich aber durch den Verlauf der Geschichte ergeben, dass Religionszugehörigkeit in Deutschland nach Süden, Osten und Norden ungleich verteilt ist. Während im Osten Deutschlands die Mehrheit der Menschen konfessionslos ist (ein Relikt aus Zeiten der DDR, wo Atheismus staatlich gefördert wurde), stehen sich der katholische Süden und der protestantische Norden konträr gegenüber.
In die Einheit zu investieren heißt, in die Zukunft zu investieren
Nun könnte man diese Liste weiter führen. Weitere dividierende Punkte wären Lebenserwartung, Kriminalität, kommunale, private Verschuldung, Pflegebedürfnis, Bevölkerungsverteilung, Durchschnittsalter sowie natürlich das Klima. Auf einer etwas subjektiveren Ebene kann man sicherlich auch die Mentalität hinzuzählen; da sich die Regionen aber auf einer viel kleineren Ebene voneinander unterscheiden, wäre es unangemessen, Deutschland hier lediglich in „Norden“ und „Süden“ zu unterteilen. Zudem wäre es grundsätzlich falsch, von einem durch und durch gespaltenen Deutschland zu sprechen – dies ist schlicht und ergreifend nicht der Fall. Die Trennlinien sind da und sie sind für jedermann sichtbar. Sie sind aber nicht unüberbrückbar. Deutschland, das lässt sich nun nach all den Jahrzehnten sagen, hat trotz seiner Vielschichtigkeit eine in vielerlei Hinsicht geeinte und vor allem eine selbstkritische und gesunde, nicht überzogene, Identität, auf die man vielleicht nicht „stolz“ ist, die aber für eine auf europäischer und globaler Ebene gesehene so große bzw. einflussreiche Nation immens wichtig ist. Dies hat man manchen anderen Ländern vielleicht voraus.
Fest steht aber natürlich auch, dass die vor allem wirtschaftlich-infrastrukturelle Spaltung im letzten Jahrzehnt stark zugenommen hat und es deswegen höchste Zeit ist, dass dagegen gearbeitet wird und es am Ende heißt: In strukturschwache Regionen zu investieren lohnt sich, denn sie fördert die viel beschworene Einheit dieses Landes, die die Basis für eine gute Zukunft ist. In Deutschland und in Europa.
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