Essay zu gesunder Ernährung – Karoline Börner
Oh, wie sehr ich dieses Gefühl namens „schlechtes Gewissen“ hasse und die Sozialen Netzwerke, die Menschen um mich herum und selbst die Werbeindustrie rufen tagtäglich dieses bescheuerte Gefühl in mir auf: „Ich kauf kein Nestle mehr, die schreddern Küken“ „Meine Mutter macht uns zu Hause nur noch vitalstoffreiche Vollwertkost“ „Fleisch gehört bei mir nicht auf den Teller“, ja, jeden Tag so ein Statement zu hören tut dem Gewissen nicht gut, als jemand, der sehr gerne die Chicken Nuggets isst, als jemand, der noch nicht einmal die Zeit hat zwichen Vollwert und eben dem Gegenteil von Vollwert zu unterscheiden und als jemand, der erst, nachdem die Müslipackung (übrigens Veganes Müsli (wenn die Milch nicht wäre)) leer ist, bemerkt, dass das Müsli von Nestle ist. So sitze ich dann vor der Müslischale mit veganem Müsli, nicht ganz so veganer Milch und laut Internet drei Zuckerwürfeln in meiner Portion des wiederum veganen Müslis und schaue mich in der Küche um. Toastbrot neben dem Toaster, Nutella im Schrank. Meine Ernährung muss sich ändern. Die ganzen armen Tiere, die für meinen Genuss leiden müssen, die Umwelt, die durch die fast nur industriell gefertigten und verarbeiteten Lebensmittel verpestet wird und natürlich mein Körper, der vom ganzen Zucker schon ganz ausgelaugt sein muss, das tut mir alles wahnsinnig leid.
Das Problem, welches ich beim Verzicht habe, ist jedoch, dass ich mir ein Leben mit einer beschränkten Auswahl an Lebensmitteln nicht vorstellen kann. So wie mir geht es 46% der deutschen „Allesessern“: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach, vom Zucker runter- und vom Fleisch wegzukommen.
Jedoch habe ich nicht das Gefühl, dass ich nur wegen meines schwachen Fleisches zu Fleisch und Zucker greife, sondern mich auch von meinem Egoismus verführen lasse. Dieser Egoismus in mir sagt nämlich, dass es mir allein in diesem Moment gut gehen soll. Dass ich genießen soll, was ich esse und keine Rücksicht der Welt mich zu meinem Glück führt. Ja, im Grunde repräsentiert mein Einkauf mein Ego: Einfach das kaufen, was mir schmeckt, ist super einfach, macht Spaß, ist schön günstig, lecker und geht schnell.
Auch ärgern mich immer die Parolen der sich so gesund ernährenden Menschen, die einem so gern ihr Essverhalten unter die Nase reiben und einen versuchen, von ihrer Überzeugung zu überzeugen, die die einzig wahre Überzeugung zu sein scheint. Da wären die Veganer, die behaupten, dass das Fleischessen zu Diabetes führen könnte, oh, und unsere anwerbende Biomarkt- Kette, die betont, dass nur reines Obst die Haut zum Strahlen bringen kann. Aha. Wussten Sie, dass es für lange Haare gesünder ist, erst die Spülung und dann das Shampoo zu verwenden? Jetzt raten Sie mal, wie viele der doch so auf ihren Körper achtenden Menschen diese Methode anwenden. Ja, kaum einer. Laut der Statistik einer „Mädchen“ Ausgabe, ungefähr aus dem Jahr 2016, wenden diese Methode rund zwei von 100 Mädchen an. Dementsprechend sollten diese „selfcare“ und „healthcare“ fixierten Menschen nicht nur ernährungstechnisch an sich arbeiten, oft kommt auch die Bewegung zu kurz, oder eben die andersweitige Pflege des Körpers. Bei diesem Szenario lässt mich das Gefühl nicht los, dass diese ganze „Gesund essen- Blase“ mehr eine Modeerscheinung darstellt und oft einfach nur als Aushängeschild von Menschen oder Firmen genutzt wird, um angesagt zu sein. Denn wessen Haut macht der Smoothie am Morgen wirklich strahlender? Eher sieht der morgentliche Drink hübsch auf Instagram aus und der Spruch „meine Haut wurde davon ganz weich“ klingt auch ganz passabel als Bildunterschrift darunter.
Im Grunde wurde aus dem Veganismus, gesunder Ernährung und dem Vollwertessen eine komplett neue Industrie geschaffen. Unternehmen sprießen förmlich aus dem Boden, die sich mit der „richtigen“ Ernährungsweise beschäftigen und ihre Methoden „wie zu essen“ anpreisen. Anscheinend wird alles durch die richtige Ernährung besser. Der eigene Körper, das Kapital, wird
vitaler, aufmerksamer, weniger anfällig für Krankheiten, strahlender, straffer, dünner, hübscher, einfach besser, als alles andere. Doch ist es nicht eigentlich der Genuss, der uns strahlen lässt, der uns zu einem glücklichen Menschen macht? Ist es nicht die Macht, das zu tun, was man am liebsten möchte, und das ist dann oft eben nach einem anstrengenden Tag, ein Bierchen zu trinken oder zu Mittag einen leckeren Burger zu essen?
Und zu dem Thema Tiere zu schützen: Wie viele Kosmetik-Marken experimentieren mit Tieren und die Produkte werden trotzdem von Veganern gekauft?
Und wie viele Veganer, Vollwertesser und „gesunde Ernährung macht mich als Mensch strahlender“-Menschen kaufen ihre Klamotten trotzdem so billig, wie es nur geht, aus Läden, wo die Näherinnen sich nicht so tolle Lebensmittel zum Strahlen kaufen können?
Dass der Zucker, das Fleisch oder Fette faktisch dem Menschen nicht guttun weiß ich nun, Diabetes klingt nicht so cool, aber ich gehe das Risiko ein. Ich muss mich selber wohl fühlen und dazu trägt der Zucker am Morgen bei, ich muss nicht perfekt sein, also bin ich es nicht. Ich werde weiterhin Fleisch essen, Zucker lieben und meine Haare zuerst einshampoonieren.
Mittlerweile ist es Mittag, die leere Müslischale steht immer noch vor mir. Meine Mutter kommt rein und sagt, dass sie jetzt zum Mittagessen Spaghetti Bolognese macht. Oh ja, das mag ich: „aber bitte keine Vollkornnudeln, Mama, ok?“
Wenn der kleine Hunger kommt – Kannibalismus in Zeiten der Not – Finn Faßbender
„Wenn du Großes vorhast, muss der kleine Hunger weg.“ Ein Grundsatz, der sowohl gilt, wenn man versucht den Flughafen BER im aktuellen Müller-Werbespot zeitig fertigzustellen, wie auch wenn man einen Flugzeugabsturz in den argentinischen Anden zu überleben versucht. Wo an der einen Stelle der beworbene Milchreis die Abhilfe verschafft, ist es an der anderen das Muskelfleisch des Piloten und Copiloten.
Trotz oder gerade vielleicht auch wegen der nicht unbedingt großen freien Verfügbarkeit, wichen Fetischisten auf dubiose Methoden aus, um ihre Gelüste nach dem – der überwiegenden Menge der Erfahrungsberichten zufolge ähnlich wie Schweine- oder Kalbsfleisch schmeckenden – menschlichen Steak zu befriedigen. So nutzte der Kannibale von Rotenburg, Armin Meiwes, die Vorteile des Internets, um ähnlich gesinntes, sich selbst zum Verzehr freigebendes Gesindel zu finden. Nach Kontaktaufnahme und erfolgreicher Tötung soll er das Wildbret über mehrere Tage hinweg verzehrt haben. Inwiefern Meiwes Sachverhalt einen Notstand im Sinne der Definition darstellt, darf noch diskutiert werden, jedoch ist es nicht zu widerlegen, dass der Verzehr von Filet humain nicht ohne Gesundheitsrisiko daherkommt. Ein solches Risiko ist akuter Tod. Akuter Tod tritt auf als Folgeerscheinung der bisher nur im Inselfolk der Fore nachgewiesenen Prionenkrankheit Kuru; falls der Bedarf nach Infektion besteht, so muss der Leser nun enttäuscht sein, da sich diese Krankheit nur durch Verzehr des Hirns eines verstorbenen, bereits infizierten Menschen in den eigenen Körper aufnehmen lässt. Auf diese Art und Weise wurde dort dem Verstorbenen pietätvoll gehuldigt und ein letzter Dienst erwiesen.
Die Menschheitsgeschichte kennt aber noch viele weitere Beispiele der Vereinfachung der Nahrungsbeschaffung in menschenfeindlichen Umständen durch Verzehr der Kameraden. Als Inspiration für den Roman Moby Dick dienend kenterte der Walfänger Essex am 20. November 1820 nach einem Pottwalangriff und sandte die Besatzung auf eine 3500 Seemeilen lange Reise, die 7 der 21 Mann schlussendlich in dem Dickdarm ihrer Kumpanen beenden würden. Aber auch 120 Jahre später finden wir Beispiele der Fremdverspeisung. Die dauerhaft Hungerleidenden in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern freuten sich über jede neue Proteinquelle, die sie nachts oft tiefgekühlt vorfanden. Aber auch in den tropischen Gewässern des Pazifiks wurde die Totenruhe gestört. Getrieben von unbändigem Hunger als Folge der Unfähigkeit des japanischen Oberkommandos, seine Truppen aufgrund zerstörter Nachschublinien rechtzeitig mit Essen zu versorgen, wichen diese vergeblich auf die gesündesten der alliierten Kriegsgefangenen aus, um ihre Einsatzbereitschaft gegen die schlussendlich siegreichen, anrückenden Amerikaner aufrechtzuerhalten.
Aber auch in geregelten Umfeldern will der unheimliche Nachbar seine Leibspeise [Wortspiel beabsichtigt – Anm. d. Aut.] nicht unbedingt missen. Menschenfleisch würde in der Welt der Gastronomie zum roten Fleisch gehören, also neben Rind- und Lammfleisch auf einer Grillplatte nicht visuell hervorstechen. Rotes Fleisch gehört mit zu den nahrhaftesten Lebensmitteln, die dem Menschen bekannt sind. 100 Gramm Fleisch enthält ungefähr 25 Gramm Proteine, was dies auch zu einer exzellenten Wahl für die Diät des geneigten Bodybuilders macht. Trotzdem wird rotes Fleisch in mehreren wissenschaftlichen Studien in einen direkten Zusammenhang mit erhöhtem Krebsrisiko gebracht.
Ich persönlich rate daher dem geneigten Kannibalen den alltäglichen Konsum des Inhalts seiner im Keller hinter Umzugskartons versteckten Kühltruhe zurückzufahren, u.a. wegen dem erhöhten Darmkrebsrisiko, sowie den besprochenen Nachschubproblemen. Man will ja nicht gezwungen sein auf den Supermarkt auszuweichen.
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