Starker Beifall im Bundestag. „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“ Mit diesem Satz war Deutschland fast ein Jahr nach der Wende auch rechtlich geeint und der Tag der deutschen Einheit auf den dritten Oktober festgelegt.

Dieses Jahr haben wir keinesfalls ein Jubiläumsjahr. 29 Jahre Deutsche Einheit, nach 45 Jahren Teilung, 41 davon in den zwei Staaten BRD und DDR. Die Zahlen scheinen prägend – wir waren sehr viel länger getrennt, als wir es nicht mehr sind. Und doch habe ich und hat meine gesamte Generation immer nur ein geeintes Deutschland mitbekommen – wohl der Grund, weshalb zumindest ich es seltsam finde, wenn in den Medien häufig von „dem Osten“ und „dem Westen“ gesprochen wird?

Vor dem Aufkommen der AfD war die Unterscheidung in Ost und West in meinem Kopf so gut wie gar nicht vorhanden. Ein Staat, 16 Bundesländer. Wenn Deutschland unterteilt wurde, dann eher in Nord und Süd als in Ost und West – Schleswig-Holstein, der echte Norden, erschien mir immer viel ferner als Thüringen oder Sachsen. Aber anscheinend lagen die neuen Bundesländer mir doch ferner, was die Werte anbelangt, suggerierten zumindest die Medien und der gesellschaftliche Diskurs. In „dem Osten“ lebten nur benachteiligte Wutbürger, rechtsextrem oder immerhin mit rechtsextremen Tendenzen. Ganze Bundesländer unterentwickelt – als ich vor kurzem mit einem Freund über das Thema gesprochen habe, meinte der, er würde schon gerne mal in den Osten fahren und schauen, ob da wirklich alles so heruntergekommen aussieht, wie er sich das vorstelle.

Ich war schon im Osten und konnte ihm erklären – das tut es nicht. Städte wie Leipzig, Chemnitz, Weimar, Jena, Pirna – farbenfrohes Stadtbild. Besonders Pirna wird gerne mit Freiburg verglichen, der vermeintlich grünen Metropole im Süden. Wenn man im Osten unterwegs ist, bemerkt man nichts von der ehemaligen Grenze – und erst recht nicht auf die Art, die medial vermittelt wird.

Wovon viele gehört haben – die etwa 1.500 Pegida-Demonstranten in Dresden. Was dagegen eher unterging – 12.500 Demonstranten achtzehn Tage später beim weltweiten Klimastreik „Fridays for Future“. Ist Dresden jetzt braun oder grün?

Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern, bedingt durch die immerhin fast ein halbes Jahrhundert unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten, die Ereignisse im Rahmen der Wende und den Umgang der Politik mit der Thematik danach – aber wie viel bringt es, diese Unterschiede auf die derzeitige Weise zu thematisieren und ins Gedächtnis zu rufen? Zielführend relevant ist die Aufgreifung des Ost-West-Gefälles doch lediglich, wenn es darum geht, etwaige Ungerechtigkeit sichtbar zu machen und somit auf Veränderung zu pochen, oder eventuell, wenn es tatsächlich zur objektiven Analyse beiträgt. Doch in beiden Fällen sollte stark, sollte stärker darauf geachtet werden, dass mit den Begriffen „der Westen“ und „der Osten“ keine Stigmatisierung erfolgt und dass der Gebrauch dieser Begriffe lediglich zum Positiven der jeweiligen Bewohner verwendet wird.

Denn wozu führt das sonst? Sicherlich nicht dazu, dass der „Wutbürger aus dem Osten“ sich weniger benachteiligt, nicht ernst genommen und bevormundet fühlt – also nicht zu der Lösung, die angestrebt wird oder angestrebt werden sollte. Denn die unterschiedlichen politischen Wahlergebnisse kommen nicht daher, dass etwa die Sachsen von Grund auf böse Menschen sind, sondern sind vor allem durch die Umstände bedingt, die allerdings durch die mediale Fokussierung auf AfD und co nicht gerade positiv beeinflusst werden.

Dabei wird bereits vieles getan und es wurde auch bereits vieles erreicht in den letzten Jahren, um dem „abgehängten Osten“ eine Chance zu ermöglichen. Beispiel Bildung – beim Bildungsmonitor 2019 lag Sachsen auf Platz 1 und der Durchschnitt der Neuen Bundesländer war mit etwa 52 Punkten deutlich über dem der Alten (ohne Stadtstaaten) mit 37 Punkten.

Statt also weiter das Klischee vom Wutbürger aus dem Osten zu prägen, könnte man sich darauf einigen, lösungsorientierter vorzugehen. Vielmehr die gesellschaftlichen Unterschiede thematisieren als die daraus hervorgehenden politischen Einstellungen. Klassenfahrten nach Weimar organisieren. Und auf Podiumsdiskussionen die Politiker das nächste Mal zur Dresdner Fridays-for-future-Demonstration befragen.

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