Vier Minuten, nur vier Minuten. 240 Sekunden, die über alles entscheiden. Mindestens zehn Jahre immer dasselbe, fast jeden Tag, über eine Stunde, zu egal welcher Uhrzeit und jetzt sind es vier Minuten, die über alles entscheiden. Wenn ich auch nur einmal falle ist es aus. Fehlerfrei und perfekt. Langsam knete ich meine Finger. Über ein Jahr habe ich den Ablauf von diesen vier Minuten geprobt. Hundertmal bin ich gefallen, was versichert mir, dass es diesmal nicht passiert? Mein Name wurde gerufen und ich gehe raus. Zu viele Menschen sind da, Kameras, die mich beobachten und nur auf ein gutes Bild hoffen. Ich laufe eine Runde, alles ist gut. Dann bleibe ich stehen und warte, bis das Zeichen kommt. Tief durchatmen, die ersten Töne erklingen und jetzt gibt nur noch das eine.
Olympia ist vielleicht eines der meist gesehenen Sportevents und daher ist es wahrscheinlich für jeden Sportler die Möglichkeit ganz groß heraus zu kommen. Daher sind Fehler nicht erlaubt, um gut zu sein. Beim Eiskunstlauf sind mehr oder weniger vier Minuten von Bedeutung, in denen man seine Kür so graziös und makellos vorführen sollte, wie es geht. Winzige Fehler, unter-rotierte Sprünge (falls man nicht hoch genug springt, schafft man nur die drei bzw. zweieinhalb Drehungen, die dann keine saubere Landung geben), das Wegbewegen von Ort und Stelle der Pirouette, alles zählt. Keine der Sportarten ist einfach, doch ich behaupte zu sagen, dass beim Eiskunstlauf weit mehr Faktoren berücksichtigt werden, als bei manch anderen Sportarten (ohne eine als schlechter einzustufen oder anzugreifen).
Ein Wettbewerb, der mich strahlen lässt, ist das wirklich gut für mich? Je nach dem, was ich danach mache, werde ich zu einer kleinen Legende oder stürze ab. Doch wer hat gesagt, dass das Leben einfach wäre? Es heißt immer, man soll Opfer bringen, sonst erreicht man das nicht. Doch was, wenn ich nichts erreiche, was, wenn ich es nicht schaffe, war dann meine komplette Arbeit umsonst? Die vielen Stunden, die blauen Flecken – durch meine ganzen kindlichen Jahre, während anderen draußen bei schönem Wetter gespielten, stand ich drinnen in der Kälte und übte, für vier Minuten. Hatte ich wirklich etwas Größeres und Besseres vor als die anderen?
Sind diese Wettbewerbe fair? Dürfen diese Wettbewerbe fair sein? Denn Sport ist weit mehr als nur ein Wettbewerb. Olympia war schon immer von politischer Bedeutung, Versöhnung und Verfeindung, Täuschungen und Beweise für das Vertrauen ineinander oder auch die finanzielle Lage der jeweiligen Länder. Fühlt man sich nicht schlecht, wenn man durch Betrug gewinnt? Man steht als Vertreter des Landes da und soll so gut, wie es eben geht, seine Leistungen den anderen gegenüber zeigen.
Wie oft habe ich diese Sprünge geprobt? Wieso tue ich das? Wenn ich falle, tut es verdammt nochmal weh, aber irgendetwas hält mich daran, obwohl ich jeden Tag scheitere. Es gibt immer etwas zu verbessern, hat man einen Sprung geschafft, heißt dies nicht, dass er auch gut war. Der Sprung sollte jetzt kommen. Ich stieß meine Zacke in das Eis und sprang.
Doch wer kam auf die Idee, sich Schuhe zu machen, mit denen man übers Eis gleitet? Noch besser, wer dachte sich die Sprünge aus, ein Mal, zwei Mal, drei Mal oder sogar vier Mal in der Luft zu drehen? Mir gefällt immer noch der Spruch am besten: Wenn du alles richtig machst, kann dir nichts passieren. Wie war, wenn man alles richtig macht, kann einem wirklich nichts passieren, bis auf…
Nur ein paar Sekunden befindet man sich in der Luft, die Kräfte sind enorm und man soll darüber Kontrolle halten. Hoch und richtig ab springen und dann ist mein Gehirn leer. Ein kurzer Augenblick, in dem ich nicht weiß, was los ist und dann, bevor ich es bemerke, bin ich schon auf dem Boden. Meine Zacke schleifft über das Eis, doch noch kann ich wegrutschen. Ein Sprung ist geschafft, der erste von allen und nach dem fühle ich mich ein Stück weit bestätigt, vielleicht besteht am Ende die Chance noch oben zu stehen. Aber dann fällt mir ein: jeder einzelne Fall verstärkt das Gefühl bei einer erfolgreichen Landung.
Es kann sein, dass uns das dort hält, wo wir sind. Jedes einzelne Mal, wenn wir fallen, schwebt uns dennoch ein Ziel vor Augen. Bei manchen ist dies nicht unbedingt Olympia, aber andere sind bereit morgens um halb sechs auf zu stehen um in ihrem Leben auf dieser Siegertreppe zu stehen. Aber es bleibt dabei, die vier Minuten entscheiden dennoch über die jahrelange Arbeit.
Nun, ob meine Kür besser als die anderen war, weiß ich nicht. Fehlerfrei war sie zwar nicht, denn ich bin gefallen, doch der Rest ist nicht mehr meine Sache. Ich habe es geschafft. Erschöpft und müde gleite ich die letzten Meter vom Eis. Sofort werden mir meine Schoner in die Hand gedrückt und noch bevor ich sie anziehen konnte, werde ich von meiner Trainerin umarmt.
Herzlichen Glückwunsch an alle Olympiateilnehmer!
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