Christoph von Marschall gilt als Amerikaexperte. Seit 1991 Journalist beim Tagesspiegel, erhielt er 2002 den Deutsch-Amerikanischen Kommentarpreis für seinen Kommentar zu den Terroranschlägen des 11. September und seit 2005 ist er Korrespondent in Washington D.C.. 2016 erschien die Neuauflage seines Buchs „Was ist mit den Amis los?“, indem er sich mit Kulturunterschieden zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten auseinandersetzt. Am 8. Dezember 2016 trafen wir ihn und seine Frau Zofia für ein Gespräch über Journalismus, Amerika und die Zukunft der Medien.
Farbfleck: Wie kamen Sie zum Journalismus?
Christoph von Marschall: In meinen späten Schuljahren habe ich entdeckt, dass ich Spaß an Literatur und am Schreiben hatte. Ich habe immer gerne gelesen, aber erst im letzten Schuljahr hat das so richtig Fahrt aufgenommen, sodass ich auch dachte, dass ich das gerne beruflich machen möchte. Ich habe das dann neben dem Studium einfach ausprobiert, in Freiburg bei der Badischen Zeitung, die suchten immer freie Mitarbeiter. Für mich hatte das dann den doppelten Effekt, dass ich erstens in den Journalismus reinkam und zweitens etwas Geld nebenher verdiente.
Farbfleck: Wie Sie das beschreiben, war der Übergang von der Nebenbeschäftigung zur Festanstellung bei Ihnen relativ fließend. Meinen Sie, der Weg in den Journalismus ist auch heute noch so einfach?
Von Marschall: Das Reinkommen ist immer noch möglich – auch auf diesem Weg – aber der Beruf ist nicht mehr per se so attraktiv. Einzelne Medienbereiche sind in der Krise: Es gibt Bereiche wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Rundfunkgebühr, wo die Finanzierung kein Problem ist. Da ist es natürlich schwieriger reinzukommen, aber man hat eine gesicherte Zukunft. Im Zeitungsgewerbe ist das heute ganz anders. Das Interesse am Produkt ist nach wie vor vorhanden – es ist ja nicht so, dass was wir ins Internet stellen, keiner lesen würde. Aber die Leute wollen es umsonst. Das ist die Schwierigkeit. Wer zu uns in die Redaktion kommt, ist hoch motiviert, will den Beruf und ist sehr gut ausgebildet. Sie haben ein Studium, einen Auslandsaufenthalt, vielleicht auch schon praktische Erfahrungen gesammelt. Und man weiß nicht so genau, ob man ihnen sagen soll „Bleib dabei!“ oder „Hast du dir das auch genau überlegt, weißt du überhaupt, ob du davon noch leben kannst?“. Wir alle in den Redaktionen sind am Experimentieren, wie wir unsere finanzielle Grundlage sicherstellen. Die Inhalte brauchen wir immer noch, aber eben digital, aber das bringt noch keinen hohen Umsatz.
Farbfleck: Bedeutet das eine Entwertung der journalistischen Arbeit und welche Konsequenzen müssen die Zeitungen daraus ziehen?
Von Marschall: Ich glaube, wir müssen wieder das Bewusstsein unter den Nutzern stärken, dass redaktionelle journalistische Arbeit ein Qualitätsmerkmal ist. Früher sagte man: „Ich habe es in der Zeitung gelesen.“ Wenn mir heute jemand sagt, dass er etwas im Internet gelesen hat, sagt mir das überhaupt nichts! Im Internet… das kann eine Werbesache gewesen sein oder sogar ein gezielter demagogischer Auftritt. Aber wenn ein Artikel unter der Marke Süddeutsche, Tagesspiegel, Zeit erscheint, dann haben das Leute, die sich auskennen, geschrieben: das ist eine geprüfte Nachricht. Wenn ein Bastler sagt: „Ich habe übrigens ein Auto zu verkaufen, das ich aus allen möglichen Teilen zusammengebaut habe“, dann glauben Sie auch nicht, dass es dasselbe Produkt ist, wie von einem angesehenen Fachhändler. Aber für Nachrichten ist dieses Bewusstsein nicht vorhanden.
Farbfleck: Im Internet zählen Klickzahlen und reißerische Schlagzeilen sind da eine gängige Methode, Leseraugen zu fesseln. Auch große Zeitungen greifen auf ihren Webseiten immer öfter auf solche Mittel zurück. Trägt das zum Problem bei?
Von Marschall: Die Zuspitzung wird aus meinem Gefühl völlig übertrieben. Klar, sobald man etwas zupackender und übertrieben emotional formuliert, bekommt man mehr Klicks. Aber man entwertet letzten Endes Begriffe. Was immer schon gleich ein Skandal oder ein Eklat ist! Das geht viel zu weit. So viele Eklats pro Woche kann es gar nicht geben, wie das Wort „Eklat“ auftaucht. Und natürlich hat sich schon der Spiegel früher als Printprodukt etwas daraus gemacht, dass man die Dinge etwas zuspitzt, aber bei Spiegel Online geht es ja gar nicht mehr ohne.
Farbfleck: Für viele Schüler ist der Journalismus immer noch ein Traumberuf. Was aber hat sich in den letzten Jahren an diesem Berufsbild geändert?
Von Marschall: Früher war es üblich, dass man ein Fachstudium absolvierte, und dann hat man sich bemüht, ein Volontariat zu bekommen. Man hat keine journalistischen Studiengänge belegt – als ich anfing, wurden die erst eingeführt. Heute ist das de facto so: Man studiert Kommunikations- oder Medienwissenschaften und das hat auch einen praktischen Grund, denn bei fast allen dieser Studiengänge gehört es dazu, dass man Praktika macht. Wenn man nicht zu diesen Studiengängen gehört, ist es auch sehr schwierig, an ein Volontariat zu kommen, da die Medien fast alle Praktika an ebendiese Studenten vergeben und wenige freie Plätze haben. Früher war das einfacher und da waren erste praktische Erfahrungen mit einer Redaktion der Weg, mit dem Journalismus anzufangen. Heute führt der Weg meist über die Medienstudiengänge. Es gibt auch Journalistenschulen, quasi „Zeitung üben„, wo man sich, gar nicht praxisfern, aber eben nicht direkt in den Medien ausprobiert. Solche Möglichkeiten gibt es. In der Hinsicht ist der Beruf mehr verfachlicht worden. Ich würde sagen…
Zofia von Marschall: … dass manchmal die Expertise in einem Gebiet fehlt. Weil mein Mann über die Geschichte des 19. Jahrhunderts, und damit auch das Gebiet der Balkankriege promoviert hat, konnte er die Konflikte ganz genau erklären. Die Expertise muss tiefgehen. Es kann nicht sein, dass ein Journalist etwas schreibt, worüber er keine Ahnung hat.
Von Marschall: Ich habe ja 1989 angefangen, hatte osteuropäische Geschichte studiert, war in Ungarn, als die Grenze aufging, habe in Rumänien und Bulgarien die Regime fallen sehen und dann kamen in den 90er Jahren die Jugoslawienkriege. Alles, was man da an Hintergrundwissen brauchte, musste ich mir also nicht erst aneignen. Und das ist der Punkt meiner Frau. In dem Maße, in dem der Zugang immer mehr über Medien-, Kommunikationsstudiengänge kommt, wird der Anteil an Fachwissen der mit der Person kommt geringer.
Farbfleck: Zu Ihrem Berufsleben: Wie sieht das Leben eines internationalen Journalisten aus? Wohnen Sie hauptsächlich in Deutschland, haben sie zwei Wohnsitze oder führen Sie eher ein Reiseleben?
Von Marschall: Wir leben seit 2013 wieder in Deutschland. Davor haben wir acht Jahre lang fest in den USA gelebt, von 2005 bis 2013, aber auch 2016 waren wir relativ oft in den USA. Ich war wahrscheinlich sieben oder acht Mal für mehrere Wochen dort. Einige Male ist auch meine Frau mitgekommen. Es ist natürlich nicht immer wahnsinnig interessant, mit einem arbeitenden Journalisten durch die Provinz zu ziehen.
Zofia von Marschall: Wiederum, kurz vor den Wahlen, wenn man bei Rallys mitmacht, mit Trump, Hillary oder mit Obama, macht das sehr viel Spaß. Das Leben so zu erleben ist schon toll. Als Journalist hat man bestimmte Privilegien, man kommt an alles näher ran und ich hatte sehr viel Interesse daran, natürlich im Vergleich zu meinem Beruf [in der biomedizinischen Forschung tätig], bei dem dieser Glamour fehlt. Da mein Mann viel Berichterstattung aus dem Weißen Haus gemacht hat, wurde man zum Beispiel auf deren Weihnachtsfeiern eingeladen.
Farbfleck: Worum geht es bei der Arbeit eines Auslandskorrespondenten? Hauptsächlich um Stimmungs- oder um Informationsübermittlung?
Von Marschall: Sowohl als auch. Die Hauptaufgabe von Auslandskorrespondenten ist vor allem die Übersetzung. Zwischen dem, was in einem Land geschieht, und der internationalen Meinung gibt es eine emotionale und informelle Diskrepanz. Da gibt es totale Verschiebungen. Aus deutscher Sicht haben Protestbewegungen eine viel größere Attraktivität und Bedeutung als in Amerika. Bei der 99-Prozent-Bewegung kamen in New York 600 Leute zusammen. Das ist gar nichts. Aber in Deutschland war der Anti-Wall-Street-Protest eine große Sache. Dagegen wurden Phänomene wie jetzt auch Trump tendenziell völlig unterschätzt. Korrespondenten haben hier die Aufgabe, den Ernst der Lage zu vermitteln. Wenn man im Ausland lebt, liest man amerikanische Zeitungen und ist in einer amerikanischen Umgebung eingebettet. Da sieht man die Welt anders als von Berlin oder Paris aus. Und das muss man rüberbringen.
Farbfleck: Waren diese unterschiedlichen Wahrnehmungen auch das Thema Ihrer Amerika-Bücher?
Von Marschall: Genau. Wir waren zu einer Zeit dort, als wirklich großer Erklärungsbedarf bestand. Wieso waren so viele Amerikaner gegen eine allgemeine Krankenversicherung? Die kurze Antwort ist: Sie sind nicht gegen eine allgemeine Krankenversicherung. Sie sind nur dagegen, dass diese vom Staat vorgeschrieben dürfe. Es war eine Freiheitsfrage. Der Staat ist für viele Amerikaner etwas, das man kritisch betrachtet und möglichst klein sein soll. Im Vergleich zu Deutschland: dort hat der Staat ganz viele Aufgaben und ganz viel Verantwortung. Er muss für soziale Gerechtigkeit sorgen. Amerikaner würden das nicht verstehen. Warum sollen die entscheiden, ob ich das Geld lieber für schönere Zähne, ein Auto oder eine Reise ausgebe, indem der Staat Vorschriften auferlegt, was die mit ihrem Geld zu machen haben? Der große Unterschied ist die unheimliche Begeisterung für Erfolge in der Privatwirtschaft. Das macht ja solche Phänomene wie Trump überhaupt erst möglich. Das ist doch in Deutschland völlig undenkbar, dass jemand, der in der Privatwirtschaft Erfolg hat, Spitzenpolitiker wird. Nehmen wir Mitt Romney, der war republikanischer Präsidentschaftskandidat 2012. Drei Jahre nach der Finanzkrise ernennt eine große Partei einen Banker zu ihrem Spitzenkandidaten. In Deutschland undenkbar! Das sind diese Kulturunterschiede und Kulturübersetzungsfragen, von denen letzten Endes auch das Buch handelt. Dann kann man das auf alle Themen anwenden: Wie man mit Terrorabwehr umgeht, mit der UNO, ob Europa nun so stark oder nicht so stark ist und so weiter.
Zofia von Marschall: Abgesehen von der richtigen Übersetzung hat Journalismus auch die wichtige Funktion der Kontrolle. Ohne die sähe unser politisches Leben ganz anders aus – die Vergangenheit, das Jetzt und natürlich auch die Zukunft.
Von Marschall: Aber auch hier verändert sich die Wahrnehmung stark.
Zofia von Marschall: Ja, leider. Die Leute vergessen manchmal, wie wichtig es ist, den Politikern auf die Finger zu schauen. Bei Trump sieht man es ja gerade: „Ach lasst ihn erst einmal hundert Tage machen, was er will.“ – Nein! Jeden Tag muss ihm der Journalismus zeigen, dass er nicht einfach so kann, wie er sich das vorstellt. Und dass er verantwortungsbewusst entscheiden muss. Ein wenig hat er es ja schon gelernt, nachdem kritisch über ihn berichtet worden ist.
Von Marschall: Noch eine andere Sache. Während des Wahlkampfs haben wir mit einigen Freunden, die zum Teil auch deutlich jünger sind als wir, US-Fernsehdebatten angeguckt. Meine Frau und ich, wir sind sozusagen analoge Fernseher, wir gucken da drauf und verfolgen die Debatten. Der junge Gast, der da bei uns zuhause war, ungefähr Mitte 20, der hörte nur halb zu, der hat nämlich an der Debatte über seinen Austausch mit anderen Zuschauern in den sozialen Netzwerken teilgenommen. Ich will kein Urteil fällen, ob das eine oder das andere besser ist, aber das ist unterschiedlich und die Generationen nehmen es deshalb unterschiedlich war.
Zofia von Marschall: Aber der junge Herr ist auch mit uns um drei Uhr aufgestanden, um das Ergebnis zu erfahren!
Von Marschall: Das fand ich toll!
Zofia von Marschall: Sein Interesse hat mich wirklich begeistert.
Von Marschall: Ihr macht das schon!
Farbfleck: Wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Interview!
Neueste Kommentare