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Da will schon wieder jemand den Kommunismus ausrufen!“ Mit einer ausholenden Bewegung wird das unschuldige DinA4-Blatt vom Schwarzen Brett gerissen, neugierig von Hand zu Hand gereicht. Die Worte werden hastig überflogen, vermutlich ähnlich hastig, wie sie auch verfasst wurden – wer auch immer er nun war, der LGH-Gesuchte Nummer Eins, zwei Dinge hatte er den meisten Schülern mit Sicherheit voraus: Motivation, die die Sehnsucht nach bereits lange überfälligem Schlaf noch übertrumpft, und Zugang zu einem sowohl funktionsfähigen als auch schnellen Drucker. Der Schulz-Hype mag spurlos am LGH vorbei gegangen sein, die reißerischen Zeilen am Schwarzen Brett haben ihn zurück an die Mensa-Tische gebracht. Für ihn zu spät – bleibt die Frage, ob früh genug für die hauseigene Wahl.

Eins muss ich wohl eingestehen – die Frage „Warte, hast du das vielleicht geschrieben..?“ hat mich mich mit gemischten Gefühlen erfüllt. Einerseits wollte meine verbliebene Sympathie für die SPD verbunden mit meinem Reflex, Schulz zumindest ausgleichend zu Muttis Verehrern verteidigen zu wollen, entrüstet aufschreien. Andererseits wäre ich bereit gewesen, eine ganze Menge zur aktuellen Debatte über die Schülersprecherwahl beizutragen.

Der Flyer ist mit Sicherheit kein Meisterwerk politischer Satire: Er schlägt in bereits canyon-tiefe Kerben, von der Einfallslosigkeit der SPD bis zum Seelachsfilet kommt wenig Überraschendes. Und die Frage „Wie viel Prozent der Känguru-Chroniken hast du gelesen?“ würde wohl bessere Ergebnisse einfahren als ebendiese nach der Pflichtlektüre, wobei letzteres in diesem sagenumwobenen Leben nach der Schule eine doch existente Rolle spielen dürften, erstere primär lediglich unsere Fähigkeiten, Herr Schäfer den Jüngeren kontern zu können, verbessern. Dennoch schafft der Text es, eine Brücke zur Außenwelt unserer Glocke zu schlagen, eine nicht unbeträchtliche Leistung. Wir werden, wie so oft, zwar mit der Frage im Raum stehen gelassen, ob der Autor sich das denn wirklich alles gedacht hat. Aber diese lässt sich einerseits bejahen, wenn man als Parameter zugrunde legt, dass Herr Heese auch glaubt, Goethe habe mit seinem Metrum klar eine Blickrichtung intendiert, und kann andererseits als zweitrangig angesehen werden – denn John Green hat uns gelehrt, die Alkoholabhängigkeit und Depression des Autors verliert seine Bedeutung, da nichtsdestotrotz ein Teenager darin den Sinn seines Lebens erkennen kann, also können wir auch in einem Produkt von Koffeinüberschuss und Frustration tiefgreifende, begründete Kritik am System erkennen.

Denn ganz vom Himmel gefallen ist der Einzug von Schulz in den Schülersprecherwahlkampf nicht. Betrachten wir es doch einmal chronologisch: Letztes Jahr noch war der Wahlkampf kaum als solcher zu erkennen – gewonnen, bevor er überhaupt begann, die Konkurrenz weit, sehr weit im Boden versunken. Und als auch die diesjährige Wahl bereits entschieden schien, erschien nicht ein, sondern sogar zwei Konkurrenten. Plötzlich, man glaubt es kaum, schienen die Schüler eine Wahl zu haben!  Könnte Schulz wirklich eine Alternative sein, könnte – mehr als ein Schüler die Gemeinschaft vertreten wollen?? Nun, anscheinend ja, doch die Illusion einer Wahl schwand auch am LGH schnell dahin.

Während Schulz sich beharrlich weigerte, den Angriffsmodus vor der Bundeswahl anzuschalten, um die Große Koalition ja nicht auszuschließen, schienen unsere potentiellen Schülersprecher sich in ähnlicher Weise eher zu überschneiden als abzugrenzen, sah man von verschiedenen Spirit-Animals ab – da wäre ihr Patronus auf Pottermore ein aussagekräftigerer Grund zu Wahl gewesen. Und so bleiben erinnerungswürdige Statements beider Wahlen aus unerfindlichen Gründen im Bereich der Hauswirtschaft angesiedelt. Hier zumindest ist die LGH-Wahl detailreicher: Wenn interessiert Merkels Kartoffelpürree, wenn man durch eine objektive wie leidensfähige Jury über die Sandwich-Künste der Kandidaten informiert wird.

Wir wollen nicht unfair werden – die Schülersprecherwahl bietet schlicht wenig Konfliktpotential. Wie will man sich charakterisieren, wenn die Wahl sich in der Vielfalt der Synonyme für Veranwortungsbewusstsein, Offenheit und Corage erschöpft. Und auch wenn einige Bereiche des LGH-Lebens durchaus Überarbeitungsbedarf bieten, das Fehlen eines konkreten Langzeitprojekts ist bei einer repräsentativen Stellung für die gesamte Schülerschaft kein ganz valider Kritikpunkt. Was nicht heißt, dass Kritik nicht angebracht wäre – lediglich an höherer Stelle. Denn  die Kandidaten mögen sich wacker geschlagen haben, das Prinzip Demokratie allerdings hat an diesem Tag ordentlich eingesteckt.

Und dabei sollte doch eben das verhindert wurden: Aktiv wurde man aufgefordert, Fragen zu stellen – „Demokratie und so“. Und was ist aus ihnen geworden, den Zetteln um Zetteln, in mikroskopischer Schrift, um den Rahmen des DinA9-Papiers doch ausweiten zu können? Sie kamen auf den Schoß der amtierenden Schülersprecherin, doch die folgenden haben sie kaum erreicht. Nicht etwa durch kreative, mitunter überraschend erfrischende Ansätze an Problemen wie politischem Desinteresse bis zur Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit, nein, durch ihr Namensgedächtnis konnten sich unsere Kandidaten charakterisieren. Das ist nicht nur weniger als viertrangig – es scheint vor allem einen jeden Neukömmling direkt aus dem Club zu verweisen.

So läuft auch unsere kleine Demokratie nicht mehr auf beiden Beinen, der Motivation, teilzuhaben, und dem Interesse an den Themen und Visionen – stattdessen hinkt sie auf ihren Krücken voran, links Desinteresse, rechts Interesse – an persönlich-peinlichen Details über die Kandidaten. Sind wir schlicht zu bequem geworden? Ein Luxusproblem, aufgrund mangelnder Probleme? Das wohl kaum – doch die Probleme liegen tiefer als ihre Symptome. Wir suchen hier nicht nach einem Weg, die runden Tische wieder in die Mensa zu transportieren. Wir suchen nach dem rationalen Grund ihrer Verbannung. Wir haben nicht zu wenig kontroverse Probleme. Wir haben zu wenige offene Diskussionen über die Problematiken, die nur noch hinter den Rücken weniger behandelt werden. Und so sehen wir keine hitzige Debatte der Spitzenkandidaten über soziale Gerechtigkeit und den Klimawandel. So werden höchstens „Ecken oder keine Ecken“ besprochen – alles weiter wird mit der Betonung der Sensibilität der Thematik als nicht rational debattierbar abgestempelt.

Kritisieren – der „LGH-Schritt“ einer Analyse. Er geht unter, sinkt tief in Vergessenheit – denn „Das musst du einfach akzeptieren…so läuft das eben“. Die SPD hat gelernt, sie geht in die Opposition. Zeit für unsere Studierzeit.

 

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