oder wie eine Schule politisiert

Paella

Es ist doch ein Kreuz mit diesen nie politisierten Mitschülern: Da will sich unsereins den Tag nur ein wenig politisch versüßen und prompt endet man als Der Eine Buhmann. Ob auf Vortragsabenden, in der WG oder an der Rems: Nirgends scheint der rechte Ort zu sein. Da hilft nur eines : Weiter so!

-fiktiver unverschämter Schüler

 

Was müssen das für Zeiten gewesen sein, in denen so etwas undenkbar war? Zeiten, in denen ein vierstündiger Kurs im Fach Gemeinschaftskunde noch bei Herrn Hanisch Unterricht hatte UND diskutierte, dass sich die Parteischilder bogen? In denen das Additum Tagespolitisches Gespräch noch eine ernst zu nehmende Besucherzahl hatte und die Grundlage des politischen Denkens am Internat bildete, auf dass der Glanz des Diskurses strahlen möge in alle Ferne? Als im Küchenausschuss mit revolverartiger Wiederkehr jährlich Siebtklässler niedergemacht wurden, die den gesundheitsfördernden Gedanken des Mensaessens untergruben und tatsächlich Nutella zum Abendessen wollten?

Wunderbare Zeiten, wenn man einige Individuen (darunter auch mich) fragen würde. Aber das tut keiner. Und das nicht ohne Grund: Wer sich nach solchen Zeiten sehnt, der scheint eines zu vergessen: Seine Mitschüler. Denn die braucht er zum Reden, es sei denn, er redet mit sich selbst oder belästigt fremde Menschen in Onlineforen mit seinen kleinpolitischen Ambitionen. Letzteres hat vor allem bei ansatzweise clever umgesetzter Anonymität im Netz vor allem den Vorteil, vor Racheakten oder einer guten alten Faust in die Fresse geschützt zu sein, wobei letzteres grundsätzlich von sämtlichen Gesprächsparteien zu vermeiden ist – es sei denn, es geht nicht anders, aber dann sollte es zumindest so eingerichtet werden, dass der Mentor gerade wegschaut und es wie ein Unfall wirkt. Anbei der Tipp für auseinandersetzungsfreudige Unterstüfler: Die Mensa ist kein geeigneter Ort hierfür, es sei denn, es gibt nach Jahren der Freude mal wieder Paella.

À propos Paella: Der Küchenausschuss scheint im imaginären Ranking der Smashy Feathers Ratingagentur unter den Topplätzen für Grundsatzdiskussionen jeglicher Art zu logieren. Das mag verwunderlich klingen, ist der Küchenausschuss doch seit Urzeiten gebrandmarkt als ein nepotistischer Haufen essfreudiger Sozialgrenzer, die entweder nichts oder zu viel erreichen wollen. Was aber ist es, das diese zum Spaßkomitee geborene Truppe dazu bewegt, sich nicht nur für einen Toaster einzusetzen, sondern sogar dazu, beim gemeinsamen Mittagsmahl diverse Themen unterschiedlichster Bereiche auszudiskutieren? Ist es die Abwesenheit von Spaß, die sie vom Herumalbern abhält? Eine böswillige Frau Kadau, die wehrlose Schüler dazu zwingt, sich zu unterhalten? Nein. Es liegt schlussendlich an der entspannten Atmosphäre.

Und eben diese Atmosphäre ist es, die das „Politische Leben“ des LGH braucht. Der Gedanke ist natürlich nicht so direkt umzusetzen, wie es sich anhört; die werten Leiter des Additums für Tagespolitische Gespräche können die Lavalampen und Sitzsäcke gleich wieder einpacken. Und auf die Bücherei als Location können sie auch gleich verzichten. Denn es gibt nichts, was älter und eingeschlafener wirkt als hinter sich die Abenteuer vom Pumuckl oder Java Für Dummies stehen zu haben, während man versucht, vor dem Redeschwall löblich engagierter Jugendparteiler in Deckung zu gehen.

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist es, wenn versucht wird, bei der Lektüre einer Tageszeitung ein Gespräch zu initiieren, was aber mit beruhigender Seltenheit passiert. Solche Situationen wirken weniger inszeniert, aber mindestens ebenso erzwungen. Was also braucht es, dass sich träge LGHler dazu herablassen, das zu tun, was sich Herr Hanisch von seinem GK4-Kurs bis zuletzt wünschte, was der Ilzhöfer den ganzen Tag tun könnte und kein AntiFa-Plakat der Welt erreichen kann?

Entspanntheit. Und die lockere Atmosphäre. Das kann man natürlich nicht erzwingen, aber arrangieren. Warum gibt es noch kein politisches Grillen, keine philosophische Wanderung, keinen Kochabend  mit selbst verfassten rhetorischen Werken?

Vielleicht liegt es am typischen Denken des LGHlers.

„Öööh, wie ööööde.“

„So ein Quatsch, ich hab keinen Bock auf Wandern.“

„Vergiss es. Beim Grillen oder Kochen kommen doch eh wieder die Vegetarier/Veganer/Sozen und belehren uns wieder über unser Konsumverhalten.“

Vielleicht müssen wir es einmal damit versuchen, aus unserer versteiften Haltung herauszukommen. Sogar die FDP empfiehlt auf ihrer Webseite, „liberale Grillabende“ zu veranstalten, gilt sie doch unter den heute-Show-Fans und auch außerhalb solcher Gruppen als versteinert und unfähig. Müssen wir uns also ein Beispiel an dieser Partei nehmen? Ja, auch wenn es den meisten LGHlern nicht gefallen wird. Man kann auch gerne mal darüber abstimmen. Oder ein Meinungsbild einholen.

À propos Abstimmung: Vor Urzeiten, als Frau von Manteuffel noch Schulleiterin war, gab es anlässlich der Bundestagswahl eine kleine Wahl, am LGH, wo sie intern ausgezählt wurde. Ob das für einen schulinternen Diskurs mit sich brachte, ist nur noch insofern präsent, dass es darum ging, wer denn die NPD gewählt hätte. Eine solche Wahl abzuhalten wäre nicht nur interessant, sie ließe sich sogar einem Planspiel ähnlich umsetzen. Parteien ließen sich gründen, Wahlkampfveranstaltungen abhalten, Plakate bei Nacht und Nebel an jede Wand des Campus kleben und vor allem eines: Politisieren. Ein interessantes Experiment wäre es allemal, die Sorgen um fatale Folgen sind allerdings schnell aus dem Hinterkopf herbeigepurzelt und fächern ein nie gesehenes Parteienspektrum auf:

  1. Ein versteinerter Haufen Ultrakonservativer, auch bekannt als Sauer-Staffel, der sein diskursives Lager im Außenbereich des Paulaner am Marktplatz aufgeschlagen hat und durchweg versucht ist, sich kleinere Gruppierungen einzuverleiben. Seine Stellungnahmen klingen jedes mal auf eine seltsame Art und Weise nicht nur rückgratlos, sondern irgendwie genau so wie die vorherige und wirken irgendwie bekannt, als hätten sie ihre Meinung bloß aus einer Zwischenablage in ihr Parteiheftchen kopiert.
  2. Ein linksliberales Rudel, welches krankhaft versucht, seiner Linie treu zu bleiben  und nicht so recht weiß, mit wem es sich anzulegen hat und die anderen Parteien wahlweise als Kapitalisten oder Sozen verteufelt. Die neue Vernunft scheint sich aber nicht sicher zu sein, ob sie sich überhaupt selbst lieb hat.
  3. Die Revolutionäre. „Friede den Stühlen, Krieg den Tischflächen“ – der Wahlkampf wird hier über Kritzeleien und eingeritzte Parolen auf unschuldigen Tischen in den Räumen 2.01 und 1.06 ausgetragen. Sie fordern nicht nur den Verkauf der Orgel, sondern auch die Aufhebung sämtlicher Sitzordnungen in der Mensa und die Anschaffung einer Fritteuse, um nach Jahren des Kampfes Pommes Frites in der Mensa verspeisen zu können. Der Codename für verdeckte Operationen ist Raidaz, aber der viel coolere echte Name ist natürlich nicht nur in drei Sprachen erhältlich, sondern auch noch geheim.
  4. Logischerweise kristallisiert sich ebenso  eine konterrevolutionäre Partei heraus. Unter ihrem Banner, gewebt aus Erstauflagen von Gesangsbüchern, vereinen sich Nostalgiker und Korinthenkacker, die nicht nur fordern, dass Frau von Manteuffel damit aufhören soll, sich im Ruhestand zu verstecken, sondern auch das gesamte Gefüge der LGH-Musiker auf den Werkszustand zurücksetzen wollen. Unredliche Gerichte wie Currywurst und Pfannkuchen werden aus der Mensa verbannt, Nutella gibt es wieder in Gläsern. Die Schule singt wieder gemeinsam bei Konzertveranstaltungen und in diesem Farbfleck soll auch alles wieder wie früher werden. Auf den penibel in billige Heftumschläge eingeschlagenen Parteigrundsätzen prangt in majestätischem Geschmiere: „Als Frau von Manteuffel noch Schulleiterin war…“ Die Namensgebung verweigern sie strikt: „Als Frau von Manteuffel noch hier war, gab es solche Streitigkeiten nicht.“
  5. Die Viralen Veggies: Hip bis zum geht-nicht-mehr, formiert in den Bataillonen Basic Bitches und Modische Geschwüre, wie sie die öffentliche Aufmerksamkeit tauft, haben sich von einer alternativen Deseskalationsfraktion zum beißwütigen Kampfhund des von ihnen definierten Menschenverstands erklärt. Letzterer ist ein Komitee der wichtigsten Ökos/ Veganer, die nicht nur als moralische Instanz, sondern gleichzeitig auch als Messias und Gerichtsbarkeit fungiert. Ihr aggressiver Ton bei Diskussionen und Mahlzeiten hat zu einer verstärkten Isolation durch den Rest der LGHler geführt, welcher sie in dem Glauben befeuert, als Verschwörungstheoretiker wahr- und nicht ernst genommen zu werden.
  6. Die Besorgten Schüler™ verstehen sich nicht als Partei im Sinne der Partei (zumal sie von Sinnen erscheinen), sondern als der Sinn welcher der Sinnlosigkeit den Sinn entgegenstellt. Sinnd Sind diese umstürzlerischen Unterstüfler wahnsinnig oder haben sie ihre Grundsätze an der Tanke mitgenommen? Experten und KH sind sich da noch uneins, obgleich klar ist: Die muss der Hausvater für Campusordnungsschutz unbedingt im Keim ersticken. Denn obgleich schwach in der Zahl ( und den Argumenten) weiß die Partei nach eigener Angabe ganz sicher, dass sie „alle Vernunft und Unterstüfler“ vertritt und die Oberstufe „doch viel zu viel darf“. Am besten wäre es, wenn „jeder seinen PC haben darf, Handys in der Mensa erlaubt sind und die Oberstüfler auch zu allen Mahlzeiten kommen müssen.“ Des weiteren soll es der Unterstufe erlaubt sein, an Tischen der Oberstufe zu sitzen, damit sie sich auch mal fühlen dürfen wie ein Großer. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
  7. Die letzte und, wenn es nach ihr geht, mehr als beste Partei. Die Freiheitlich Übermenschlichen Oberstuflichen Demokraten (FÜOD) sind sich ganz sicher, dass ihre Erzfeinde aus Punkt 6 und der Diktator von Haus 12 Feinde der Freiheit und der demokratischen Ordnung sind – welche sie wiederum logischerweise verkörpern. Die Oberstufe, äh, Schule wird schon zu lange unterdrückt und sie als Kämpfer im Namen der Freiheit der Meinung, der Handlung und der Kaffeemaschine (und vor allem von allem, was nicht in Stufe 12 ist) haben die (h)eilige Pflicht, noch vor dem Abitur das LGH zu einem besseren Ort zu machen – fast so viel besser, bis es vielleicht so gut ist wie sie selbst. Denn nur mit gut gelaunten Oberstüflern, äh, Schülern, funktioniert eine Schule endlich mal.

So leicht wird das mit der Spaltung der Schule natürlich und hoffentlich nicht. Bei all den Phantasien wurde beispielsweise nicht berücksichtigt, welchen Einfluss denn Mitglieder von Jugendparteiorganisationen und solchen, welche sich mindestens so benehmen, auf diesen Schmelztiegel der Parteikämpfer haben werden. Ziehen sie schon jetzt die aus ihrer verkappten vernunftgeschwängerten Sichtweise einzig wahren Trennlinien zwischen Kameradenschwein und Klardenker, zwischen Idioten und wahren SMVlern, so ist es fraglich, ob wir dann nicht eines Tages nicht nur in einer mit Parteiplakaten bis in alle Ritzen und Fugen verunstalteten WG aufwachen, sondern auch noch jeden Tag einen anderen Politiker/“Politiker“ zum Vortrag in unsere Mensa einzuladen haben, weil „wir ja schon den einen da dahatten, weil das ist ja voll die Indoktrination und so“: Montags den Grünen, dienstags den Linken, mittwochs den Mathematiker und so weiter. Alles nicht unwahrscheinlich, erinnert sich der LGHler, der in der letzten Woche des vergangenen Schuljahres den Worten eines nicht nur rhetorisch durchaus begabten, sondern erst recht politisch breit gebildeten MdB aus dem Hause Hofreiter lauschen durfte.

Ob die vergangenen 1630 Wörter Schwarzmalerei oder bloße Polemik sind, sei dahingestellt und jedem eifrigen Blogger und Mensatischproleten überlassen. Doch eines lässt sich nicht von der Hand weisen: Jeder Soziologe oder Politikwissenschaftler, der das LGH besuchte, würde zwischen blankem Entsetzen und delirischer Belustigung schwanken. Denn solch ein Chaos, gepaart mit übereifrigen Philanthropen und allwissenden Flugzeugträgern der Vernunft, sozialen Silberrücken und organisationsfreudigen Meinungskopierern, das gibt es nur hier.

Und da bin ich dann schon ein bisschen stolz drauf. – mm

~Marc Müller

 

Bildnachweis: Paella von db0yd13,  flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)

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