All I Want For Christmas Is „Whoosh…“
Für die Forschung gab es dieses Jahr ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk: Am 25. Dezember startete das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) von Französisch-Guayana aus in den Weltraum. Astronomen blickten dem Ereignis mit einer Mischung aus Besorgnis und Erleichterung entgegen. Das liegt vor allem an der durchwachsenen Vorgeschichte des Beobachtungsinstruments.
Sage und schreibe neunzehn (!) mal wurde der Start des Teleskops verschoben, von 2007 auf letztendlich 2021. Die Gründe dafür waren sehr unterschiedlich. Es gab technische Probleme, Fehler bei der Kommunikation, beschädigte Einzelteile – die Liste ließe sich ein gutes Stück lang fortsetzen. Die Kosten explodierten über die Jahre von etwa 500 Millionen zu knapp 9 Milliarden US-Dollar. Immer wieder drohte der US-amerikanische Senat, den Wissenschaftlern die finanziellen Mittel für das Forschungsprojekt zu entziehen. Die Fertigstellung des Teleskops war eine Herkulesaufgabe (an der übrigens nicht nur die NASA, sondern auch die Europäische Weltraumagentur ESA und die Kanadische Weltraumbehörde CSA beteiligt sind). Doch dafür soll das Teleskop auch ganz schön was können.
In den Medien wird das JWST meist als der Nachfolger des überaus bekannten und auch populären Hubble-Teleskops bezeichnet. Doch das beschreibt die Fähigkeiten des teuersten Beobachtungsinstruments aller Zeiten eigentlich unzureichend. Zudem sind Hubble und Webb einfach sehr unterschiedlich gebaut und auf verschiedene Forschungsbereiche ausgelegt, also nur bedingt vergleichbar.
Ein Lehrstück der Ingenieurskunst
Die Planung des JWST begann schon in den 1980er Jahren. Damals wurde z.B. bereits die Idee aufgegriffen, den Hauptspiegel aus mehreren ein- und ausfahrbaren Segmenten zu bauen. Denn es war klar: Ein Teleskop mit einem so riesigen Spiegel würde in keine Rakete passen, die die Menschheit jemals gebaut hat. Die Ingenieure, die an dem internationalen Gemeinschaftsprojekt beteiligt waren, mussten also kreativ werden.
Mit dem konkreten Bau des Teleskops wurde erst 1996 begonnen; zu dem Zeitpunkt war Hubble schon etwa 6 Jahre im All. Der Start des JWST war damals auf 2007 gelegt worden, was sich im Nachhinein als überaus ambitioniert herausgestellt hat. Immer wieder musste der Start nach hinten verschoben werden. Aber getreu dem Motto Gut Ding muss Weile haben!, ließen sich die Ingenieure nicht beirren und schufen ein unvergleichliches Forschungsinstrument.
Der Spiegel ist sicherlich das Herzstück eines jeden Teleskops, so auch bei Webb. Er ist mit einem Durchmesser von 6,5 Metern mehr als sechsmal so groß wie der Primärspiegel des Hubble-Teleskops. Doch die Größe allein ist nicht entscheidend: Um infrarote Wellenlängen besser erfassen zu können, ist auf den einzelnen Spiegelsegmenten aus Beryllium eine hauchdünne Beschichtung aus Gold aufgetragen, da IR-Strahlung so besonders gut reflektiert werden kann.
Ein weiterer Vorteil, der mit der Unterteilung des Spiegels in 18 einzelne Teile einhergeht, ist, dass jeder der einzelnen Spiegelsegmente individuell gekippt und verformt werden kann, um die Funktionsweise des Spiegels anzupassen. An der Vorrichtung am Hauptspiegel (bestehend aus drei dicken Stahlseilen) befindet sich der Sekundärspiegel, der das reflektierte Licht ins Innere des Teleskops weiterleitet.
Komplettiert wird das JWST durch das Sonnenschild, welches aus fünf Lagen bzw. Schichten besteht, die die sonnenzugewandte Seite des Teleskops vor der Wärmestrahlung unseres Muttersterns schützen sollen, denn die Infrarotstrahlung der Sonne würde das Weltraumteleskop bei der Arbeit stören, da es das Universum in genau jenem Wellenlängenbereich untersuchen wird. Die Abstufung in fünf Schichten ermöglicht zusätzlichen Schutz, auch z.B. vor Einschlägen von winzig kleinen, aber rasend schnellen Staubkörnern, die im Sonnensystem umher fliegen.
344 perfekte Manöver: Alle(s) oder nichts
Der Start des Teleskops verlief reibungslos, was schon einmal ein großer Erfolg an sich ist, keine Frage. Doch wer dachte, dass die Wissenschafter sich nun entspannt zurücklehnen könnten, irrt sich gewaltig. Der längste und mit Abstand komplizierteste Teil der ganzen Mission muss erst noch bewältigt werden: Eine 1,5 Millionen Kilometer und 29 Tage lange Reise liegt vor dem Teleskop. Es soll im Lagrange-Punkt L2 des Systems Erde-Sonne stationiert werden, wo es (fast) störungsfrei von äußeren Kräften seiner Arbeit nachgehen kann. (Was Lagrange-Punkte genau sind, werde ich in der nächsten Astronomischen Einheit erklären.)
Auf dem Weg zu L2 wird dann ein Prozess beginnen, bei dem die Forscher ihren Atem anhalten werden: Die Auseinanderfaltung des JWST. Jeder einzelne der über 300 Teilschritte (sogenannte kritische Punkte, wie die NASA sie nennt) muss absolut perfekt ablaufen, sonst kann das Teleskop nicht wie geplant funktionieren. Von Astronauten durchgeführte Reparaturen – falls etwas schieflaufen sollte – sind im Gegensatz zu Hubble nicht möglich, da das Teleskop sich weiter von der Erde entfernt befindet, als jemals ein Mensch war und solch eine Mission zu planen, Jahre an Vorbereitung bedürfte; also viel zu viel Zeit, um spontan auf einen technischen Fehler o.Ä. zu reagieren.
Zunächst einmal muss das Sonnenschild auseinander gefaltet werden. Dieser Vorgang allein dauert schon mehrere Tage und wird auf viele einzelne Submanöver aufgeteilt, da alles mit der größtmöglichen Vorsicht durchgeführt werden muss. Anschließend kann erst der Sekundärspiegel ausgefahren und der Primärspiegel vollständig aufgeklappt werden. In den Tagen darauf werden ein paar Anpassungen und Korrekturen am Hauptspiegel vernommen, bevor Webb bereit ist für den finalen Insertion Burn, der ihn zu L2 bringen wird.
Nach 29 Tagen sollte das JWST dann an seinem zukünftigen Zuhause angekommen sein, wo es sich in einen Orbit um den Lagrange-Punkt L2 begeben wird.
Die ersten Bilder und Ergebnisse werden allerdings frühestens sechs Monate nach dem Start, also im Juni 2022, erwartet, da das Weltraumteleskop erst dann vollständig abgekühlt und funktionsfähig sein wird. Aber sollte alles nach Plan laufen, können wir uns auf viele Jahre voller spannender wissenschaftlicher Erkenntnisse gefasst machen.
Der Ursprung des Universums und extraterrestrische Planeten
Zu den größten Aufgaben des JWST gehört die Erforschung des frühen Universums (nach astronomischen Zeitmaßstäben) kurz nach dem Urknall. Dabei kann es viel tiefer „in die Vergangenheit“ blicken als beispielsweise das Hubble-Weltraumteleskop. Auch ist das JWST darauf spezialisiert, den kompletten Infrarotbereich zu erfassen, während Hubble „lediglich“ im sichtbaren, sowie nahen UV- und Infrarotbereich „sehen“ konnte.
Die Größe und Bauart des Spiegels macht Webb 100-mal sensitiver für elektromagnetische Strahlung als Hubble, sodass es mit noch nie dagewesene Präzision das Universum im Infraroten beobachten kann.
Exkurs:
Der Grund dafür, dass das James-Webb-Weltraumteleskop hauptsächlich im infraroten Wellenlängenbereich beobachten wird, liegt an einem Effekt namens kosmologischer Rotverschiebung. Ähnlich wie beim akustischen Dopplereffekt, den wir auf der Erde z.B. bei sich nähernden und dann wieder entfernenden Krankenwagen hören können, ist das Licht, das von fernen Galaxien in unsere Teleskope fällt, rotverschoben; je weiter entfernt die Galaxien, desto röter ist das Licht, welches wir von ihnen empfangen. Das liegt an der Expansion des Universums, welche bewirkt, dass der Raum bzw. die Raumzeit sich ausbreitet, und sich so die einzelnen Galaxiencluster voneinander entfernen. Da besonders die Zeit unmittelbar nach dem Urknall noch vergleichsweise wenig erkundet wurde, gibt es jetzt mit dem JWST ein Beobachtungsinstrument, das für den infraroten Bereich ausgelegt ist, und so besonders weit entfernte Galaxien bestens erforschen kann.
Webb kann also sehr tief „in die Vergangenheit“ blicken, da das Licht einer Galaxie, die beispielsweise 13,1 Milliarden Lichtjahre entfernt von uns ist, dementsprechend auch 13,1 Milliarden Jahre benötigt, um uns zu erreichen und wir die Galaxie so sehen, wie sie vor 13,1 Milliarden Jahren war.
Ein weiterer sehr interessanter Forschungsbereich des James-Webb-Weltraumteleskops ist die Untersuchung von extrasolaren Planeten (Exoplaneten), also Planeten, die außerhalb des Sonnensystems existieren. Insbesondere die Atmosphären jener Exoplaneten wird Webb unter die Lupe nehmen, auch, um potenziell Biosignaturen außerirdischen Lebens zu finden. Primär geht es bei Webbs Erforschung von Exoplaneten aber um das bessere Verständnis sogenannter Mini-Neptune. Jene sind Exoplaneten, die massereicher sind als die Erde, aber weniger Masse als Gasplaneten von Neptuns Größe haben.
Wissenschaftler und Wissenschaftsinteressierte erhoffen sich also zurecht viele bahnbrechende Entdeckungen des Weltraumteleskops. Mit Webb wird nicht nur eine neue Ära der Infrarotastronomie, sondern der Weltraumerkundung insgesamt eingeläutet.
„Where Is Webb?“
Wen der weitere Verlauf der Mission des James-Webb-Weltraumteleskops interessiert, dem sei der Twitter-Account (@NASAWebb) des Teleskops, welcher von der NASA verwaltet wird, ans Herz gelegt. Dort gibt es regelmäßig Updates und Bilder:
Wem das nicht ausreicht, der kann die Reise des Teleskop live auf dieser Seite der NASA verfolgen:
https://www.jwst.nasa.gov/content/webbLaunch/whereIsWebb.html
Und zu guter Letzt gibt es hier noch einmal den offiziellen und sehr informativen Livestream der NASA vom Start des Teleskops zum Nachgucken, falls ihr ihn verpasst haben solltet:
Update (10.01.2022): Das James-Webb-Weltraumteleskop wurde in der Zwischenzeit vollständig im Weltraum entfaltet und befindet sich weiterhin auf Kurs zu L2, wo es voraussichtlich im Juni diesen Jahres seine Arbeit als Infrarotteleskop aufnehmen und die Forscher auf der Erde mit jeder Menge Daten und Fotos versorgen wird. Während des Prozesses der Entfaltung gab es zwischenzeitlich einen kurzen Schreckensmoment, als die Motoren, die für das Straffen des Sonnenschilds verantwortlich waren, begannen, sich zu überhitzen, doch durch temporäres Pausieren des Vorgangs konnte die NASA nach einer Weile das Entfalten wieder beginnen. Insgesamt eine Meisterleistung der für die Mission Verantwortlichen, ja man könnte fast sagen, eine der bedeutendsten Leistungen der Ingenieurskunst, die wir Menschen bis heute vollbracht haben!
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