Er aß leckeres asiatisches Gebäck und hatte bereits ein Hotel gefunden, das ihm zusagte, da schreckte er durch lautes Gegröle hoch: eine Horde Jugendlicher taumelte vor dem Fenster auf und ab. „Das sieht doch ganz nach einer leichten Ethanolvergiftung aus“ brummelte Tutanchamun vor sich hin und fühlte sich sogleich an die heimische Verantwortungselite im Sommer erinnert, die er, wenn er aus seinem Fenster schaute, hin und wieder in ähnlichen Zuständen den Heimweg antreten sah. Entnervt klappte er seinen Laptop zu und ging in Richtung…
… Hotel. In seinem kleinen Zimmer angekommen, betätigte er den Anschaltknopf des briefmarkengroßen Fernsehers, doch irgendwie brachte ihm das Fernsehen keine Ruhe. Besonders ohne seine sonst so wirksame rein pflanzliche „Entspannungshilfe“, die er am Flughafen hatte zurücklassen müssen, wirkte die fremde Sprache alles andere als beschwichtigend auf ihn. Die Dame in den Nachrichten sprach von irgendeiner Anita und Tutanchamun rümpfte die Nase. Anita, Anita. Humbug.
Er musste wohl dennoch vor der Kiste eingeschlafen sein, wie er satte acht Stunden später bemerkte. Seine Träume waren wirr gewesen, voller Weihnachtsmänner, blökender Lamas und natürlich Gertrude. Er konnte an das andere Ende der Welt fliegen, und doch würden ihn Weihnachten und Weibsbild verfolgen. Er kramte in seiner Reisetasche nach seinem Handy.
Seine Finger spielten mit den Tasten, während er gedankenverloren durch die Straßen der mittlerweile dunklen Stadt irrte. Wie ein Omen blinkte eine übergroße bunte HelloKitty-Figur inmitten der Skyline. Die Lichter überforderten ihn, und plötzlich fühlte er sich wahnsinnig schlapp.
Wie hatte Getrude ihn einfach im Stich lassen können? Wie konnte es kommen, dass sie eines Morgens einfach zur Tür hinausging und verschwand? Wo lebte sie jetzt? War sie bei Agathe untergekommen, ihrer Schwester, oder hatte sie die weite Ferne so sehr gerufen wie gestern Tutanchamun? Irgendetwas an diesem Gedanken überforderte ihn. Was, wenn sie etwa auch hier war? Paranoid sah er über seine Schulter. Nein, das konnte nicht sein. Auf keinen Fall.
Er betrat einen heruntergekommenen Kiosk und bestellte mit dem kümmerlichen Chinesisch, dass er sich vor einigen Jahren über den Landesbildungsserver angeeignet hatte, einen Kaffee. Gierig schlürfte er daran. Die Ungewissheit brannte ihm unter den Nägeln. Wie in Trance drückte er eine Ziffernfolge in die Tasten des uralten Mobiltelefons in seinen Händen.
Freizeichen.
„Hallo?“, sagte eine Stimme, die er seit über einem Jahr nicht mehr gehört hatte. „Hallo?“
„Getrude? Ich bin’s…“
Fortsetzung folgt – übermorgen!
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