Ich habe den Goldnen Topf nicht gelesen. Meine ganze Stufe – bis auf ein paar übermotivierte Sommerferien-Vorlerner – hat den Goldnen Topf nicht gelesen. Wenn man uns nun, nach dem Theaterstück, fragt, ob wir das Buch noch lesen werden, erhält man allerdings nur zwei verschiedene Antworten: Entweder ein „ja, vielleicht trägt es zum Ent-Verstörungsprozess bei…“ oder ein lautes „Neeeeeiiiiiiiin, das tu ich mir nicht an“.
Wie kann es sein, dass über fünfzig Menschen in etwas über 100 Minuten so sehr ihre Meinung zum bisherigen Ranking der Oberstufenlektüren ändern, von „Faust ist das Schlimmste“ zu „Sooo schlimm jetzt auch wieder nicht“? Das lässt sich in einigen repräsentativen Szenen schildern.
Ein etwas verwuschelter Schauspieler rennt im Dab-Modus über die Bühne. Dazu zischelt eine Stimme eine seltsame Mischung aus „Anselmus“ und „Apfelmus“. Zwei blaue Luftballons fliegen durch die Luft.
Eine Teegesellschaft sitzt Wodka-shottend um einen Tisch herum und prostet immer wieder „Veronika!“.
Zwei Männer, einer davon recht adipös, verstecken sich hinter einem Busch und werden von „Anselmuus“ und Veronika gesehen. Dialog? -„Was macht ihr da?“ -„Wir…ähm… vögeln.“ -„Genau, wie macht die Schnapsdrossel?“ -„Liköööööör!“
Veronikas Vater bringt ihr eine Tasse Tee und singt säuselnd „Veronika, dein Tee ist da!“
Ein knochiger Archivar namens Lind-Horst hält die Arme in seltsamen Winkeln vom Körper abgezweigt und krächzt Flügelschläge simulierend „Adieeeeeuuuu!“.
Veronika schaut in einen Zauberspiegel und tarnt diesen, als ihr Vater hereinkommt, als „Falafel“.
Der „Goldne Topf“ wird nicht ohne Grund erst wieder aufgeführt, seit es zur Abiturlektüre zählt. Davor gab es schlicht und einfach keinen Anlass, denn einen so großen Wert für die deutsche Theaterkultur bring das Werk nicht mit. Haupt-Publikum ist also die Oberstufe, von denen der Großteil im Rahmen eines Ausflugs in mindestens ein Theater geschleift wird. Ob man deshalb jedoch den Humor auf eine so niedrige Ebene brechen muss? Ich persönlich halte Oberstüfler eigentlich für kompetent genug, um Theaterstücke auch ohne Flachwitze und „moderne“ Einwürfe zu verstehen und sogar zu mögen. Das sieht das Badische Staatstheater aber anscheinend anders und versucht mit allen Mitteln, das Publikum zum Lachen zu bringen. Notfalls auch mit übertrieben komischen Szenen, schlechten Wortwitzen und Dabs.
Und wen die Karlsruher Inszenierung nicht überzeugt hat, jedoch der „Goldne Topf“ ansich schon, der muss nicht enttäuscht sein – das Stück wird in so ziemlich allen größeren Theatern in der Nähe aufgeführt. In Freiburg beispielsweise wartet ein aus Kühlschränken bestehendes Bühnenbild auf den Besuch, in Baden-Baden eine Virtual-Reality-Installation ab 16 – vielleicht sind diese Inszenierungen weniger verstörend gestaltet.
Abschließend kann nur angemerkt werden, dass sich beide Stufen nun sehr auf die Aufführung des „Steppenwolfs“ freuen.
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